Erfurter Studien zur Kunst- und Baugeschichte

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Band 4:
Steinmetzzeichen in Erfurt

Rezensionen:

Reinhard Schmitt in Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, 71. Heft / Neue Folge Heft 18, Erfurt 2010, S. 204-207

Ernst Badstübner Jahrbuch für Erfurter Geschichte, Band 5, Erfurt 2010, S. 226-227


Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt,
71. Heft / Neue Folge Heft 18, Erfurt 2010, S. 204-207:

Steinmetzzeichen faszinieren den Betrachter stets aufs Neue: den Bau- und Kunsthistoriker ebenso wie den interessierten Laien. Über ihre Bedeutung streiten sich Bauforscher wie Heimatforscher seit langem. Zu einer allgemein gültigen und verbindlichen Bewertung konnte man sich aber noch nicht durchringen. Inzwischen ist aber weithin anerkannt, dass diese Zeichen zur Abrechnung der Leistungen des jeweiligen Steinmetzen auf der Baustelle dienten; im Spätmittelalter finden sich diese Zeichen auch als Meisterzeichen. In großen Datenbanken werden die mehr oder weniger systematisch gesammelten Zeichen erfasst. In der baugeschichtlichen Forschung hat sich aber außerdem die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Zeichen innerhalb eines Bauwerkes zur Erarbeitung relativer Chronologien hilfreich sind, gelegentlich bestimmte Zeichen auch über größere räumliche Distanzen die Tätigkeit einzelner Steinmetzen verfolgen lassen. Das Vorkommen eines bestimmten Zeichens ist im Normalfall an die Lebensdauer eines Handwerkers gebunden. Es ist allerdings auch möglich, dass einzelne Zeichen nach dem Fortgang eines Steinmetzen von der Baustelle alsbald, da »frei« geworden, wieder an andere Steinmetzen vergeben werden konnten. Schließlich stellt die Verlustrate durch Abwitterung oder neuzeitlichen Steinaustausch ein großes Risiko bei der Auswertung dar.
Im mitteldeutschen Raum sind in den letzten Jahrzehnten die mittelalterlichen Steinmetzzeichen in Mühlhausen (Kirchen und Rathaus: 1959, 2000, 2005), am Merseburger Dom (1977), in Teilen vom Erfurter Dom (2005), an der Liebfrauenkirche in Mittweida und der Kunigundenkirche in Rochlitz (2005), am Magdeburger Dom (2007) und an der Schlosskirche Chemnitz (2009) oder die barocken der Dresdner Frauenkirche (2003) veröffentlicht worden. Abhängig von Gerüststellungen werden seit einigen Jahren die Zeichen am Halberstädter Dom kontinuierlich erfasst.
Die von Horst Stecher über Jahrzehnte gesammelten Erfurter Steinmetzzeichen lagen bei dessen Tod im Jahre 2005 in einer Manuskriptform vor, die von Marilyn Voss und Tim Erthel sowie Christian Misch und Rainer Müller überarbeitet und durch Baudaten ergänzt wurden. Für das Mittelalter sind die zusammengetragenen Zeichen nicht vollständig, dagegen für das 16. und 17. Jahrhundert schon. Dies betonte Thomas Nitz in seinem Vorwort eigens und trug in wenigen Sätzen den aktuellen Forschungsstand zur Problematik der Zeichen vor (Vorwort S. 9-11).
Den Hauptteil des ansprechend gestalteten Buches macht der Katalog der »Steinmetzzeichen in Erfurt« von Horst Stecher aus (S. 13-205). Seine eigene Sammlung wird ergänzt durch die Übernahme älterer Sammlungen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Rudolf Böckner und Heinz Köber) und ganz aktuell im Jahre 2002 veröffentlichte Zeichen an der Regler- und an der Kaufmannskirche (Karl-Heinz Meißner) - insgesamt etwa 2000 Zeichen. Der Katalog ist in drei Teile gegliedert: Sakralbauten (S. 14-100), Krämerbrücke und Stadtbefestigungen (S. 101-111) sowie Profanbauten (S. 112-183). Die leicht schematisch und nicht maßstäblich gezeichneten Zeichen sind für den jeweiligen Bau durchnumeriert und lokalisiert; Baudaten wurden von Misch/Müller hinzugefügt. Ein Foto dient zur allgemeinen Orientierung, um welches Bauwerk es sich im Einzelfall handelt. Somit ergibt sich neben der Kenntnis der erfassten Zeichen auch eine grobe zeitliche Abfolge. Die ältesten stammen von der Peterskirche (wohl doch deutlich nach 1103/47), der Predigerkirche (nach 1266), der Severikirche (ab 1274/76), der Augustinerkirche (1277/1300), der Michaeliskirche (letztes Viertel des 13. Jahrhunderts), der Allerheiligen- und der Reglerkirche (nach 1291) und besitzen die Form von einfachen geometrischen Figuren und Buchstaben, während die Zeichen des 15. und 16. Jahrhunderts aus einer Kombinationsfülle von Winkeln, Haken und Kreuzen bestehen.
Die frühen Zeichen sind zu individuell, als dass aus ihnen zum Beispiel baukünstlerische Abhängigkeiten zwischen der Allerheiligen- und der Reglerkirche (beide nach 1291 errichtet) abgeleitet werden können. So taucht zum Beispiel das Zeichen 575 (Sichelform) an der Kaufmannskirche, an der Predigerkirche (848), der Reglerkirche (922 und der Krämerbrücke (1071) auf. Der Rezensent vermag ohne größeren Rechercheaufwand nicht zu überprüfen, ob hier auf unmittelbare Zusammenhänge zu schließen ist.
Die namentlich bekannten Baumeister und Steinmetzen stellt Horst Stecher S. 184-194 vor. Als Quellen dienten ihm dabei Steinmetzordnungen aus der Zeit von 1423 bis 1588, ebenso verschiedene Rechnungen und Register von 1490 bis 1605. Die Namen lassen sich aber bisher keinem bestimmten Zeichen zuordnen. Dennoch sind diese Auflistungen wertvoll und hoffentlich in der Zukunft hilfreich. Erschwerend kommt bei der Namensnennung oft hinzu, dass zum Beispiel nur ein »Meister Hans der Steinmetz« (1521) genannt wird. Der Rezensent hatte sich in den 1980er Jahren mit ebensolchen Meistern auseinandergesetzt und dabei auch Persönlichkeiten konkret fassen können, freilich in fürstlichem Auftrag tätig (Hans Stern, Hans Zinkeisen, Hans von Meltwitz).
Am Beispiel des Renaissancehauses Anger 37 gelang es Stecher, zwei Steinmetzen namentlich zu belegen: Beide sind am Portal von 1557 dargestellt: Blasius Henningk Vater und Sohn (S. 194-197). Das nunmehr bekannte Zeichen der beiden Handwerker fand sich an mehreren sakralen und profanen Gebäuden der Stadt seit 1533 (S. 197-203). Ihr Lebensweg in der Stadt ist anhand archivalischer Quellen gut bezeugt. Zwei weitere Steinmetzen, Stecher nennt sie X und Y, arbeiteten zeitweise mit den Henningks zusammen, teilweise sogar als leitende Werkmeister. Drei der in der Steinmetzordnung von 1547 genannten Meister konnten in Erfurt anhand ihrer geschildeten Zeichen nachgewiesen werden (S. 203-205): Querinus von Saalfeld, Asmus von Leithain und Hans von Chemnitz. In einem kurzen Resümee hält Horst Stecher fest, was aus seiner Sicht künftig geleistet werden muss: in enger Zusammenarbeit mit der staatlichen Denkmalpflege alle Gelegenheiten nutzen, von eingerüsteten Gebäuden die Zeichen zu dokumentieren, öffentlich zu machen und sie somit der weiteren Forschung, insbesondere in Archiven, zur Verfügung zu stellen (S.205).
Volker Düsterdick teilt im Anschluss die Steinmetzzeichen an der »Schutzturmschleuse« mit (S. 207-214), die er anlässlich der Sanierung des Bauwerks im Jahre 2005 dokumentieren konnte. Der Bau war Bestandteil der Stadtbefestigung des 14./15. Jahrhunderts. Ein bestimmtes Zeichen fand Düsterdick an der Michaeliskirche und im Augustinerkloster wieder, womit eine Bauzeit um 1500 wahrscheinlich ist. Weshalb Düsterdick auf »etwa um 1480« kommt, ist allerdings nicht überzeugend genug dargestellt.
Christian Misch behandelt „Methoden und Möglichkeiten der gegenwärtigen Erfassung von Steinmetzzeichen in Erfurt“ (S.215-221). Die im Erfurter Denkmalamt entwickelte Kartierungs- und Dokumentationsmethode bis hin zur digitalen Auswertung im Computer konnte erstmals detailliert an der Allerheiligenkirche erprobt werden. Hiermit wird die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende und von Horst Stecher erstmals systematisierte Erfassungsarbeit auf einem neuen Niveau fortgesetzt.
Das Literaturverzeichnis zum Thema Steinmetzzeichen ist etwas knapp ausgefallen (S. 223-24). Dem Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt ist schließlich für seine Mühen um das Erscheinen der Stecherschen Steinmetzzeichensammlung sehr zu danken. Die Beiträge von Volker Düsterdick und Christian Misch stellen dazu eine wertvolle Bereicherung dar. Beide Schriftenreihen, die Erfurter Studien zur Kunst- und Baugeschichte und die Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, haben sich längst einen ausgezeichneten Ruf erworben. Man darf auf die nächsten Bände gespannt sein.

Reinhard Schmitt, Halle/Saale

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Jahrbuch für Erfurter Geschichte, Band 5, Erfurt 2010, S. 226-227:

Steinmetzzeichen sind, so ist in einschlägigen Lexika zu lesen, Marken, die von Steinmetzen auf den von ihnen bearbeiteten Werksteinen als persönliches Signum angebracht wurden, meist geometrische oder ornamentale, auch monogrammartige und schließlich seltener sogar figürliche Zeichen. Sie kommen seit der Antike vor, werden aber vor allem im Mittelalter ein Kennzeichen der Bautätigkeit und überliefern uns etwas von der Individualität jedes einzelnen Bauarbeiters, der ansonsten anonym bleibt. Nicht allzu oft läßt sich ein Zeichen mit einem Namen so definitiv verbinden wie das der Baumeisterfamilie der Parler, die Wolfsangel in einem Wappenfeld, welches auf den Meisterrang hinweist.
Die Aufmerksamkeit für Steinmetzzeichen ist seit dem 19. Jahrhundert festzustellen, ihre Sammlung war bislang vorwiegend die Sache einzelner, auch nicht sehr zahlreicher Interessenten. Horst Stecher (1926-2005) war einer von ihnen, und die meisten Recherchen betrafen - eigentlich war es bei dem Charakter des Materials auch gar nicht anders denkbar - jeweils nur einen Bau und nur selten eine Bautengruppe. Selbst jüngere Monographien, die Steinmetzzeichen für ihre baugeschichtlichen Untersuchungen auswerten, beziehen sich bei deren Sammlung ausschließlich auf ihren Bau.1
Auch Horst Stecher hat überwiegend allein gearbeitet und akribisch gesammelt. Sein Ansatz aber war übergreifend, d. h. flächendeckend auf den Bestand an Steinmetzzeichen in der Stadt Erfurt gerichtet. Als sein Lebenswerk kann der nun in Buchform vorliegende dreiteilige Katalog - I Sakralbauten, II Krämerbrücke und Stadtbefestigungen, III Profanbauten - angesehen werden. 1641 Zeichen sind zeichnerisch erfaßt und karteikartenmäßig den jeweiligen Gebäuden zugeordnet. Jedes Zeichen ist mit genauen Angaben verortet, z. B. am „Haus zum Breiten. Herd" (S. 139) die Nr. 1355: 1. OG, 1. Fenster v. links, Gewände, links". So bescheiden der Band in der verdienstvollen Reihe des Berliner Lukas-Verlages „Erfurter Studien zur Kunst- und Baugeschichte" auch einherkommt, so handelt es sich doch um einen klassischen Corpusband, der, wie meist, in jahrzehntelanger Arbeit erstellt worden ist. Thomas Nitz würdigt diese Leistung in seinem Vorwort.
Die kurzen Texte Horst Stechers, die dem Katalog beigegeben sind, beschreiben nach den überlieferten Ordnungen die Verleihung oder Vergabe von Zeichen an die am Ort ansässigen Bauhandwerker. Jeder neue Steinmetz mußte sich beim Meister um sein Zeichen bemühen, Voraussetzung war das Bürgerrecht der Stadt. Stecher bedauert, daß er aus der Fülle der von ihm in Erfurt ermittelten Baumeister und Steinmetzen keinem ein Zeichen zuordnen konnte. Den Versuch dazu unternimmt er dennoch und ordnet die Brustbilder zweier Männer im Gebälk über dem 1557 datierten Portal des Hauses Anger 37, die durch ihre Attribute, Zirkel und Meßlatte, als Bauhandwerker kenntlich sind, dem Familiennamen Henningk zu. Er findet beider Werkzeichen, die sie am Portal auf wappenartigen Kartuschen in Händen halten, an mehreren Bauten in Erfurt. Diese Zuordnung erscheint überzeugend, die nachfolgend angeschlossenen aus der Mitte und der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts weniger. Stecher ist sich dessen auch bewußt, aber er hält weitere Zuordnungen in dieser Zeit durchaus für möglich und auf jeden Fall den Verfolg der Arbeiten von einzelnen Steinmetzen oder von ganzen Gruppen. Zur weiteren Forschung wünscht er sich „Arbeitsgemeinschaften in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege und den Archiven [...] die sich der Steinmetzzeichen an ihren Häusern und sakralen Bauten annehmen, sie vermessen und aufzeichnen. Ein Austausch im regionalen Bereich und vielleicht darüber hinaus wäre fruchtbringend."
Inzwischen gibt es Datenbanken und übergreifende Projekte zur Erfassung von Steinmetzzeichen. Vergleiche an verschiedenen Bauten sind leichter und die Möglichkeiten für baugeschichtliche und auch sozialgeschichtliche Aussagen (Steinmetzzeichen als „Kennzeichen zur Dokumentation der Arbeitsleistung [...] und Abrechnung") sind größer geworden. Einer der Herausgeber, Christian Misch, erläutert in seinem Beitrag am Schluß des Bandes, wie auch schon einleitend Thomas Nitz , Methodisches zu den Erfassungsprojekten, die von den Erfurter Denkmalpflegern in Angriff genommen und teilweise schon publiziert worden sind.2 Christian Misch bezieht sich auf die von ihm vorgenommene und geleitete Erfassung der Steinmetzzeichen an der Allerheiligenkirche in Erfurt. Die Tafel auf Seite 216 läßt dabei den technologischen Fortschritt gegenüber der „Handarbeit" Stechers erkennen: Jedes Zeichen wird mit einem Buchstabensigel, einer „idealisierten" Zeichnung und einem Foto belegt. Aus der Beschäftigung mit dem an sich unüberschaubaren Material, einst wohl eher heimatkundlichem Interesse zu verdanken und vielleicht von etwas hobbyartigem Charakter, ist die Tätigkeit von modern ausgestatteten Forschungsteams geworden, wie Horst Stecher es sich gewünscht hat. Als grundlegende Voraussetzung für deren Arbeit werden aber die Leistungen der engagierten Heimatforscher immer eine wichtige Rolle spielen. Die Publikation der Stecherschen Sammlung bringt dies deutlich zum Ausdruck.

Ernst Badstübner (Berlin)

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