Erfurter Studien zur Kunst- und Baugeschichte

← zum Buch

Band 5:
Städtische Selbstbilder und bauliche Repräsentation
Architektur und Städtebau in Erfurt 1918–1933

Rezensionen:

Frank Karmeyer in Thüringische Landeszeitung, Lokalausgabe Erfurt, 24.03.2010

Laudatio zur Verleihung des Preises für Stadtforschung 2010 der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung e. V.


Thüringische Landeszeitung, Lokalausgabe Erfurt, 24.03.2010:

Stadtgeschichtliche Lücke Erfurts erforscht
Mark Escherich: Selbstbild der 1920er Jahre im Blick


Zu Architektur und Städtebau in Erfurt von 1918 bis 1933 hat Mark Escherich intensiv geforscht: Herausgekommen ist eine umfangreiche Dissertation, die ihm den Doktor-Titel eingebracht hat und der Stadtgeschichte ein spezielles und bislang weithin unbeachtetes Kapitel hinzufügt. Jetzt liegt es im Buchhandel vor: „Städtische Selbstbilder und bauliche Repräsentation" lautet der etwas sperrige Titel, der als Band 5 der Erfurter Studien zur Kunst- und Baugeschichte erschienen ist. Detailliert aufgeführt sind darin eine Fülle von Plänen zur Stadtentwicklung, etliche darunter, die selbst im von Wohlstand und Aufschwung geprägten Erfurt unverwirklicht blieben. Wie hat sich das Selbstverständnis der Erfurter auf die bauliche Entwicklung niedergeschlagen? Dieser Frage spürt der Autor nach und nimmt dabei die planerischen Prozesse in den 1920er Jahren besonders in den Blick - für Erfurt, das kein Zentrum des so genannten Neuen Bauens war.
Es geht um Siedlungsplanungen, kommunale Grünanlagen und Sportplätze, Bäder und Fürsorgebauten. Ein Kapitel widmet sich der Altstadtsanierung, einem Thema, das an Aktualität heute nicht verloren hat. Escherich blickt auf eine Zeit, in der Tourismuswerbung stark aufkommt. Erstmals wird ein Stadtführer von der Stadt herausgegeben und es gibt Bemühungen, einem Nordseedampfer den Namen „Erfurt" zu verleihen. Schon damals sollten Erfurter Baudenkmäler sich auf Briefmarken wiederfinden, um Stadtmarketing zu betreiben. Das hieß damals zwar nicht so, ist aber Zeugnis für ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein dieser Zeit, wie Escherich sagt, der Mitarbeiter der Unteren Denkmalbehörde ist.

Frank Karmeyer

zum Seitenanfang


Laudatio zur Verleihung des Preises für Stadtforschung 2010 der Gesellschaft für Stadtgeschichte und Urbanisierungsforschung e. V.

Auf der Mitgliederversammlung der GSU am 29.9.2010 am Rande des Historikertags in Berlin wurde der zum zweiten Mal ausgeschriebene Forschungspreis für Nachwuchswissenschaftler/innen an Herrn Mark Escherich verliehen. Der folgende Text ist die Laudatio der stellvertretenden Vorsitzenden der GSU, Prof. Dr. Martina Heßler, als Sprecherin der Jury.

Mark Escherich hat Bauingenieurwesen und Architektur in Erfurt und Weimar studiert, seine Arbeit ist jedoch zweifelsohne eine hervorragende historische Arbeit, die sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass sie auf die Bedeutung von Traditionen für die Stadtplanungsgeschichte hinweist und dass sie damit gleichzeitig den spezifischen Ort, den genius loci, ernst nimmt.

Escherich untersucht die Stadtplanungs- und Baugeschichte der Stadt Erfurt in den Jahren 1918-1933, damit also eine Phase der Stadt- und Architekturgeschichte, die bereits viel Aufmerksamkeit erfuhr und die im kollektiven Gedächtnis üblicherweise mit dem neuen Bauen verbunden ist. Vor allem die Architekturgeschichte fokussierte lange auf die Klassische Moderne, was allerdings zunehmend in Frage gestellt wurde und wird; schließlich waren bekanntermaßen nur weniger aller während der Weimarer Republik erstellten Bauten solche des neuen Bauens, während der fachhistorische Diskurs fast ausschließlich diese thematisiert. Die Arbeit setzt genau hier an und untersucht mit Erfurt bewusst eine „normale Stadt“, die gerade kein Zentrum des neuen Bauens war.

Escherich blickt damit nicht, wie es wegen des Spektakulären so verführerisch ist, auf die Avantgarde, sondern auf das Normale, Unspektakuläre, um, wie er einleitend mit einem Zitat Lampugnanis zusammenfasst, den gewaltigen Auslassungen der Geschichtsschreibung entgegenzuwirken, denn der Blick allein auf die Moderne wird, wie Lampugnani schreibt, „dem Reichtum an Experimenten nicht gerecht“. Damit, und ich zitiere aus den Gutachten: „leistet die Arbeit einen kaum zu überschätzenden Beitrag zur Planungsgeschichte der Weimarer Republik, indem sie sich von Berlin, Frankfurt und den anderen immer wieder in den Blick genommenen Zentren abwendet und eine „kleine“ Großstadt ins Visier nimmt, dabei aber ein ganz breites Spektrum des Planungs- und Baugeschehens berücksichtigt.“Auf diese Weise kommen Kontinuitätslinien und Gleichzeitigkeiten in den Blick und das Bild der Weimarer Republik als Hochzeit des neuen Bauens wird relativiert.

Escherich zeigt die Vielfalt des Bauens und vor allem zeigt er die Bedeutung von Geschichte und Ort auf. Denn anders als es die Avantgarde des ‚Neuen Bauen‘ gern gehabt hätte, die das tabula rasa liebte und von Grund auf, alles Neu zu gestalten bestrebt war, wird in Escherichs Arbeit deutlich, wie die historisch gewachsene Identität einer Stadt Einfluss auf die planerischen Prozesse hatte. Wie schon erwähnt, nimmt Escherich dabei den genius loci ernst und fragt nach Kontinutitätselementen im architektonischen und städtebaulichen Wandel, der, so Escherich, „aus der Vergangenheit und aus der naturräumlichen Umwelt schöpfte“.

Um dies zu zeigen, beschreitet Escherich einen originellen Weg. Er verbindet die Planungs- und Baugeschichte Erfurts mit der Geschichte der Stadtbilder, der Images und Selbst- und Fremdwahrnehmungen und will so die Wirkung der lokalen Identität auf die Bau- und Planungsgeschichte aufzeigen. Er fragt nach kollektiven Vorstellungen, die mit einer Stadt verbunden sind und deren Selbstverständnis konstituieren. Er erweitert Stadt- und Planungsgeschichte damit um eine wichtige kulturgeschichtliche Komponente und analysiert vor allem deren Wirkungsmacht auf das konkrete Planen und Handeln. Ich zitiere noch einmal aus den Gutachten: „Originell und methodisch schon lange überfällig ist auch der unaufdringliche Versuch, die Planungs- und Baugeschichte mit der Analyse der Selbst- und Fremdbilder der Stadt zu verbinden.“ Und ein weiteres Zitat aus den Gutachten: „die Arbeit stellt die markanteste Stadtgeschichte Erfurts zur Zwischenkriegszeit und einen bedeutenden Beitrag zur deutschen Stadtplanungsgeschichte in kultureller Erweiterung“ dar. Entsprechend dieser Zielsetzung konzentriert sich Escherich auf die Untersuchung der Bau- und Planungsgeschichte von Projekten und Bauwerken, die eng mit dem Selbstverständnis der Stadt in Beziehung stehen: Siedlungen, Fürsorgeeinrichtungen, öffentliche Gebäude und Freiflächen, Bauten des Geschäftslebens und des Massenvergnügens.

In den einzelnen Kapiteln werden systematisch zuerst die lokale Identität Erfurts und die städtischen Selbstbilder untersucht, weiter die Tätigkeit der Bauverwaltung und der dort angestellten Stadtplaner und Architekten sowie schließlich die einzelnen, gerade erwähnten Handlungsfelder und deren Planung. Damit untersucht Escherich den Diskurs, aber auch die Praktiken der Akteure und die Handlungsfelder. Die Ergebnisse des Buches können hier nur ansatzweise und exemplarisch vorgestellt werden, doch einige Bemerkungen hierzu gilt es abschließend zu machen.

Erfurt weist, wie Escherich herausarbeitet, eine starke Vergangenheitsorientierung auf; Selbstdeutung und Sinnstiftung werden mit dem Ort und dessen „großer“ Geschichte verknüpft. Dazu gehörte, insbesondere unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, das Selbstbild als Kapitale seit dem Mittelalter. Der Bezug zum Mittelalter und das „historische Selbstverständnis Erfurts“ prägten z.B. den Umgang mit der Altstadt oder auch Portalgestaltungen, die auf lokale gotische Sakralbaukunst Bezug nahmen. Immer wieder wurde Rückversicherung in der Vergangenheit gesucht und auch das, so die Wahrnehmung der Stadt selbst, schwere Schicksal Erfurts beklagt, von verpassten Gelegenheiten und einem tragischen Geschichtsverlauf gesprochen. Zugleich aber sah sich die Stadt auch als „Hüterin moderner Kulturbestrebungen“, aber auch als Blumen- und Gartenstadt, dies wurde verknüpft mit der Wohnstadt und der gesunden Stadt. Die „Großstadt im Grünen“. Das Gartenvorstadtkonzept korrespondierte mit dem Selbstbild als landschaftlich bevorzugte und durchgrünte Stadt; die Tradition Erfurts als Garten- und Blumenstadt hatte für die Freiflächengestaltung eine hohe Bedeutung und prägte den Städtebau. Escherich diagnostiziert insgesamt ein gestörtes Selbstwertgefühl der Stadt und die stete Suche nach Selbstvergewisserung, was denn nun Erfurt ausmache, die sich z.B. in einem Titel der Stadt wie dem folgenden äußerten: Erfurt. Luther-, Blumen-, Gartenstadt, Dom-, Kirchen, Kloster-Stadt im Herzen Deutschlands, die zentralgelegene Kongress-Stadt, der Ausgangspunkt für den Thüringer Wald.“

Deutlich wird in der Arbeit damit zum einen die Bedeutung der städtischen Selbstbilder, der städtischen Identität für die Planungs- und Bautätigkeit. Zum anderen zeigt Escherich die Heterogenität von architektonischen und städtebaulichen Konzepten, unter denen das neue Bauen nur eines war, das zudem nur in bescheidenem Maße umgesetzt wurde. Um noch einmal aus einem Gutachten zu zitieren: „Es wird die Frage der Moderne im Wechselspiel mit historisierenden-lokalen Tendenzen durchdekliniert“. Alle Gutachter waren sich einig, dass das Buch darüber hinaus dadurch besticht, dass es ein ausgesprochen sorgfältig gemachtes und ein sehr schönes Buch ist. Es überzeugt durch „die Klarheit der Argumentation und der sprachlichen Form“, es ist souverän geschrieben, verbindet gekonnt und originell unterschiedliche Forschungsfelder und ist von ausgezeichneter Lesbarkeit. Es war ein Vergnügen, es zu lesen. Daher hätte man auch noch weiter lesen können und wenn ich mir einen zweiten Band oder ein weiteres Kapitel wünschen dürfte, würde ich Herrn Escherich bitten, einen Blick auf die Bewohner/innen der Stadt zu richten, deren Haltung zum Gebauten und Geplanten, ihre Aneignungsprozesse. Dafür würde er dann zwar keinen weiteren Preis von uns bekommen, denn den bekommt er nun gleich schon, aber es wäre sicher trotzdem ein lohnendes Unterfangen.

zum Seitenanfang